Sätze, die im Gedächtnis bleiben

Lesung von Jochen Kelter im Seniorenzentrum Bildung + Kultur

Autor Jochen Kelter
Das Private wird politisch und das Politische privat, wenn Jochen Kelter liest. Am vergangenen Freitag war er zu Gast im Seniorenzentrum Bildung + Kultur.

Politisches Engagement und kritische Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen zeichnen das Werk und das Leben des bekannten Autors, Übersetzers, Essayisten und Lyrikers Jochen Kelter aus. Eine Kostprobe seiner sprachlichen Kraft bekam am vergangenen Freitag, 4. Februar, das begeisterte Publikum anlässlich seiner Lesung im Seniorenzentrum Bildung + Kultur zu hören.
 
Kelter trug aus seinen letzten Gedichtbänden „Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek“ und „Fremd bin ich eingezogen“ vor. Darin bezieht der Autor Stellung zu Themen wie Heimatlosigkeit, Ungerechtigkeit und Altersmelancholie und rückt sie kritisch in wirtschaftspolitische Zusammenhänge. Bissig kommentiert er die Auswüchse des Kapitalismus, die „Diktatur der Gleichmacherei“, den Globalisierungswahn, klagt Folter als Mittel der Unterdrückung und Krieg als Herrschaftsmittel an. Wichtig ist dem weitgereisten Jochen Kelter, den Entrechteten eine Stimme zu geben. Pointiert zeichnet er die Tristesse eines Taxifahrers in Kuba nach, ebenso wie Aufstieg und Fall Emil Zátopeks. Der tschechoslowakische Langstreckenläufer, Olympiasieger und Weltrekordhalter unterstützte den Prager Frühling und fiel daraufhin bei der kommunistischen Regierung in Ungnade.
 
Die politischen Ideale der 68er leben in Kelters Gedichten fort, verdichten sich zumal in persönliche Einblicke wie in „Seit Trinis Tod“, in dem er Abschied von einem Weggefährten aus Konstanzer Tagen nimmt. Konstanz bildet eine Zäsur in Jochen Kelters Leben. Der 1946 in Köln geborene Kelter studierte Literatur- und Sprachwissenschaften in Köln, Aix-en-Provence und Konstanz und musste seine Hochschulkarriere an der Universität Konstanz 1974 aufgeben, als gegen ihn ein Berufsverbot auf Grundlage des Radikalenerlasses verhängt wurde. Kelter kehrte Deutschland daraufhin den Rücken. Er lebte unter anderem in Paris und bereiste die Welt. Heute wohnt der Dichter in Ermatingen. Viele Sätze, die in der Lesung fallen, bleiben im Gedächtnis, nicht zuletzt der, der Kelters Heimatverlust beschreibt: „Exil ist ein doppelter Grund, nirgendwo einheimisch zu werden.“

(Erstellt am 08. Februar 2022 10:18 Uhr / geändert am 09. Februar 2022 01:00 Uhr)