„Das ist unbeschreiblich, wenn man sowas erlebt"

Helen Wolter, 47 Jahre, Engagierte bei Ukraine Hilfe Konstanz e.V.

Als Helen Wolter im März 2022 auf dem Schulhof ihres Sohnes wartete und einer vor dem Krieg geflüchteten ukrainischen Frau anbot, im Gespräch mit der Lehrerin zu übersetzen, wollte sie nur helfen. Auch als sie kurz darauf auf einem Parkplatz stand und den ukrainischen Jungen, der fasziniert ihr Auto anschaute, freundlich auf Russisch grüßte, wusste sie nicht, was daraus entstehen sollte. Denn dann kam alles „Schlag auf Schlag“: der Vater des Jungen fragte, wie sie in Konstanz denn eine Wohnung finden könnten, sie seien gerade erst angekommen. Auch die Frau auf dem Schulhof brauchte Hilfe, um sich in der neuen Umgebung Deutschland zurechtzufinden. Beiden bot Helen Wolter ihre Hilfe an, gab spontan ihre Kontaktdaten weiter, um die Geflüchteten zu unterstützen. Und diese Hilfe wurde angenommen: Nach und nach meldeten sich immer mehr Menschen, die Unterstützung benötigten, z.B. zum Übersetzen oder beim Navigieren bürokratischer Prozesse.

Über den Ehrenamtlichen Sprachmittlerdienst engagiert sich Helen Wolter auch als Übersetzerin. Sie unterstützt aber auch viel separat davon, durch eigene Initiative und über die gewonnenen Kontakte. Durch Zufall lernt sie den Vorstand des Vereins Ukraine Hilfe e.V. kennen, welcher sich zum Ziel gesetzt hat, Schutzsuchende aus der Ukraine zu unterstützen. Nach kurzer Zeit tritt sie in den Verein ein, der mittwochs und freitags offene Sprechstunden im Rathaus anbietet. Sie begleitet bei Behördengängen, Arztbesuchen, Terminen bei der Krankenkasse oder bei der Bank.  Zurzeit betreut Helen Wolter 35 Familien, die sie in den letzten zwei Jahren kennengelernt hat. Diese meldeten sich zwar nicht alle auf einmal, betont sie, aber wenig Aufwand sei es trotzdem nicht. Die Anfragen kämen in Wellen, manchmal ginge es um die Schule, manchmal um bestimmte Anträge. Manchmal wollten die Menschen auch einfach nur einen Rat und fragen „Wie würden Sie das machen?“.

Einen besonders schönen Moment erfuhr Helen Wolter Anfang letzten Jahres: sie unterstützte eine Frau mit jungem herzkrankem Sohn, der operiert werden musste. Nach der zunächst erfolgreichen OP ging es ihm schlagartig schlecht, er wurde nach Tübingen in die Kinderklinik geflogen. Tag und Nacht telefonierte Wolter mit den ÄrztInnen vor Ort, übersetzte und unterstützte von Konstanz aus. Als eine Übersetzung vor Ort nötig war, organisierte sie über den lokalen Ukraine Hilfe Verein in Tübingen eine Übersetzerin.  Diese Zeit war kräftezehrend auch für Helen Wolter: „Ich war eigentlich permanent am Telefon, tagelang ging das so.“ Ihre Familie unterstützte sie dabei, und nach einiger Zeit kommt die erleichternde Nachricht: der Junge hat die OP überstanden, Wochen später kann sie ihn und die Mutter in Konstanz wieder in den Arm nehmen. Über diesen Moment sagt sie im Nachhinein: „Das ist unbeschreiblich, wenn man sowas erlebt.“

Auch die alltäglicheren Dinge bereiten ihr immer wieder Freude und machen das Ehrenamt wert. Wenn die Menschen eine Wohnung finden, in Arbeit kommen oder der B1 Deutschkurs erfolgreich abgeschlossen wird. Mit einigen Familien, die sie anfangs kennenlernte, steht Helen Wolter noch immer in engem Kontakt. Es werden immer mehr Diplome und Urkunden offiziell anerkannt, und vieles könnten die Geflüchteten mittlerweile selbstständig regeln. Vor allem diese Entwicklung freut Helen Wolter sehr, „dass sie immer mehr und mehr ankommen“.

Wenn Helen Wolter auf diese Momente im März 2022 zurückblickt, ist es erstaunlich, wie viel sich daraus entwickelt hat. Zu den Beweggründen, den Menschen ihre Hilfe anzubieten, sagt sie, es war Mitgefühl im Angesicht der Familien und der jungen Kinder, die vor Krieg geflohen sind und die sich nun an einem fremden Ort befinden: „Es war sicher nicht einfach. Das war einfach mein Bedürfnis in dem Moment zu sagen ‚Wenn ihr Hilfe braucht dann meldet euch, ihr seid nicht alleine‘.“